Deutsche, britische, europäische Geschichte (19. bis 21. Jahrhundert)
Alltags-, Kultur- und Gesellschaftsgeschichte
Wissensgeschichte
Geschichte der Sozialwissenschaften
Eigentums- und Vermögensgeschichte
Transformationsgeschichte Von „1989“
Geschichte Der Gewalt
Aktuelle Projekte
Lehrforschung: Glück gehabt? Wie Orte des Aufwachsens und soziale Herkunft Lebensläufe prägen – ein zeithistorisches Projekt
Unter diesem Titel entsteht ein Citizen-Science-Projekt, das von der besonders heterogenen Studierendenschaft der Berliner Hochschule für Technik ausgeht. Es beginnt im Sommersemester 2023 mit zwei Lehrveranstaltungen im Studium generale. Die eine Veranstaltung lenkt den Blick stärker auf einen räumlichen Zuschnitt (Pia Kleines Modul „Orte des Aufwachsens. Wie die Vergangenheit die Gegenwart prägt“), die andere stärker auf die soziale Herkunft (Kerstin Brückwehs Modul „Glück gehabt? Herkunft und ihre Bedeutung für Lebensverläufe“). Von den Ergebnissen der Veranstaltungen ausgehend wird das Projekt dynamisch weiterentwickelt. Es orientiert sich an der grundsätzlichen Frage, wie aus der Vielzahl von Individuen und ihren Erfahrungen ein Gemeinwesen entstehen kann.
Monografie: Unter ostdeutschen Dächern. Wohneigentum zwischen Enteignung, Aneignung und Neuordnung der Lebenswelt
Beim Wohneigentum zeigte sich seit den 1970ern unter dem Mantel scheinbar stabiler Verhältnisse angesichts des Verfalls der Altbausubstanz ein steigender Handlungsbedarf. Damit einher ging ein staatliches Neubauprogramm, die Aufweichung von Eigentumstiteln durch politische Privilegien und die Fixierung informeller Besitzarrangements. Schon vor der Restitutionsregelung des Einigungsvertrages kam es deshalb zu Käufen und Eigentumsübertragungen. Die so entstandenen „verworrenen Verhältnisse“ (Grosser 1998), die weit in die DDR und sogar in den Nationalsozialismus zurückreichen, stellten Bewohner, Besitzer und Eigentümer nach 1990 vor erhebliche Herausforderungen. In diesem Projekt wird die Frage gestellt, welche Praxis sich in Bezug auf das Wohneigentum in der DDR herausbildete und wie sich das im politischen Prozess der Wiedervereinigung ausgehandelte Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ auf die Lebenswelt der Bewohner auswirkte. Zugleich wird eine lange, teilweise vergleichende Perspektive auf die Gesellschaft im Umbruch eingenommen, indem nach den Eigentumstraditionen, -politiken und -praktiken gefragt wird, die in die Regelungen einflossen und die Begegnung zwischen Bewohnern und sog. Alteigentümern einerseits und die Entscheidungen im Verwaltungsapparat zur Klärung offener Vermögensfragen andererseits prägten.
Aufsatz: Care or Legal Entitlement – What Makes a Home Owner? The Case of East Germany Before, During, and After 1989 (eingereicht)
Who is the owner of a house? Answers to this question will almost always lead to the land register. At least in Germany, the Grundbuch (land register) is considered the most reliable source of ownership in modern history. In addition taking care of a house, a garden, or a flat in everyday life was and is also found to be an important part of ownership, and it may result in dispute if this duty of an is not performed by the legal owner. The aim of this article is to supplement the particularly strong argument of legal ties made visible in the Grundbuch with everyday practices of taking care of a flat, a house or a plot of land.
Aufsatz: Der „Fall“ Ostdeutschland. Überlegungen zur Geschichte und Geschichtsschreibung von Transformationsgesellschaften
Sammelband/Herausgabe: Die Wiederbelebung eines ,Nicht-Ereignisses‘? Verfassungsdebatten von 1989 bis 1994 (in Bearbeitung)
Eine Veröffentlichung aus dem Arbeitskreis für Rechtswissenschaft und Zeitgeschichte an der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz
Aufsatz: Gute und schlechte Praxis in der Wissenschaftskommunikation. Zwei Beispiele aus der Transformationsgeschichte (eingereicht)
Aufsatz: Vom (Un)Sinn der Fußnote. Herausforderung für Forschende in der öffentlichen Geschichtsarbeit (im Druck)
Laufende Forschungskooperationen
DFG-Netzwerk „Erbfälle und Eigentumsübertagungen – Erbpraktiken im Spannungsfeld von Staat und Familie seit 1800“, Mitglied
DFG-Projekt „Sozialdaten als Quellen der Zeitgeschichte. Erstellung eines Rahmenkonzepts für eine Forschungsdateninfrastruktur in der zeithistorischen Forschung“, Laufzeit 2019-2022, Projektmitverantwortliche
Quantitative und qualitative Sozialforschung sind zum bevorzugten Mittel der Selbstbeobachtung in Industriegesellschaften geworden. Die im Forschungsprozess entstandenen Sozialdaten sind deshalb eine unverzichtbare Quelle für die zeitgeschichtliche Forschung. In den vergangenen Jahren hat innerhalb der zeitgeschichtlichen Forschung daher eine Zuwendung zu datengestützten Forschung stattgefunden. HistorikerInnen verwenden die Daten aus quantitativer und qualitativer Sozialforschung für die Beantwortung ihrer Forschungsfragen. Dabei werden die Daten aus ihren ursprünglichen Entstehungskontexten herausgelöst, kontextualisiert und (neu) ausgewertet. Typisch für die historische Vorgehensweise ist, dass dabei ganz unterschiedliche Materialien kombiniert werden (z.B. Daten, Publikationen über die Daten, Erzeugerinterviews etc.). Die Nutzung von Sozialdaten stellt die Zeithistoriker*innen allerdings für größere Herausforderungen. Erstens liegen potentiell relevante Datenbestände fragmentiert in unterschiedlichen Repositorien oder Datenzentren vor oder wurden noch gar nicht für die Forschung gesichert. Zweitens sind rechtliche Fragen bei der Nutzung der Daten noch ungeklärt. Das betrifft zum einen Fragen des Rechtseigentums und zum anderen Fragen des Datenschutzes. Drittens bedarf die Auswertung von sozialwissenschaftlichen Daten besondere Kompetenzen (z.B. Statistikkenntnisse), die nicht in den universitären Curricula der Geschichte verankert sind. Viertens gibt es derzeit kein Angebot etablierter Dateninfrastrukturen, das HistorikerInnen systematisch bei der Erschließung und Sicherung wiederentdeckter Daten unterstützt. Das vorliegende Projekt dient der Erarbeitung eines Rahmenkonzeptes für eine Dateninfrastruktur für die zeitgeschichtliche Forschung. Positionspapier
Doktoranden
Pia Kleine (laufende Dissertation)
„Vergangene Zukunftsstädte. Großsiedlungen als Erfahrungsräume seit den 1980ern“. Berliner Hochschule für Technik BHT, Kooperatives Promotionsverfahren mit der Humboldt-Universität zu Berlin.
Kathrin Zöller (eingereichte Dissertation)
„Bildung, Leistung, Disziplin. Die ostdeutsche Schule als Lebenswelt im Umbruch“, kooperatives Promotionsverfahren mit der Humboldt-Universität zu Berlin.
„Systemkritik und Distinktion. Ostdeutsche Konsumgesellschaft in der langen Geschichte der ,Wende‘“, kooperatives Promotionsverfahren mit dem Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt, Abschluss am 30.9.2021, summa cum laude.
Warteschlange vor einer Fleischerei, Ost-Berlin 1988. Photo: Laurent Tchedry, CC BY-SA 3.0.
Abgeschlossene Projekte
Diaologreise und kollaboratives Buchprojekt
Bild: 123comics
Mit Clemens Villinger und Kathrin Zöller, Die lange Geschichte der „Wende“. Geschichtswissenschaft im Dialog, Berlin 2020 (Ch.Links Verlag), 1. Auflage September 2020, 2. Auflage Oktober 2020.
Wie haben Ostdeutsche das Ende der DDR und den Systemwechsel erlebt? Wie erinnern sie ihn heute? Diesen Fragen geht das Lese- und Fotobuch aus mehreren Perspektiven nach. Am Anfang stehen die Ergebnisse der Potsdamer Forschungsgruppe „Die lange Geschichte der ,Wende‘” und die Annahme, dass, wer das Phänomen verstehen will, erstens die Zeitebenen vor, während und nach dem Umbruch von 1989/90 miteinander verbinden und zweitens mit jenen Menschen ins Gespräch kommen muss, die diese Phasen erlebt haben. So entstand die Idee einer Dialogreise, in die im Sinne der „Citizen Science/Bürger schaffen Wissen“ Zeitzeugen aktiv eingebunden wurden. Die Fotografin Clara Bahlsen und der Journalist Christian Bangel reisten als Beobachter mit. Das Buch dokumentiert in einer ungewöhnlichen Verbindung Wissenschaft, Zeitzeugen-Erinnerungen, bildender Kunst und Journalismus.
Ausgezeichnet mit dem Potsdamer Preis für Wissenschaftskommunikation WISPoP 2020.
Forschungsgruppe
Die lange Geschichte der „Wende“. Lebenswelt und Systemwechsel in Ostdeutschland vor, während und nach 1989 (2016 bis 2020, SAW-Projekt der Leibniz Gemeinschaft; Projektleitung: Kerstin Brückweh)
Die lange Geschichte der „Wende“ zielt darauf, über die Zäsur von 1989/90 hinweg den gesellschaftlichen Wandel zu rekonstruieren, der die friedliche Revolution und die anschließende Transformation ermöglicht und geprägt hat. Die Spannungen und Dynamiken ostdeutscher Lebenswelten im Systemwechsel werden von Mitte der 1970er Jahre bis zum Anfang der 2000er Jahre in vier Lokal- bzw. Mikrostudien am Beispiel des Wohnens, lokaler politischer Kultur, Bildung und Konsum untersucht. Das Projekt kombiniert klassische Quellenarbeit mit Oral History und der Sekundäranalyse von sozialwissenschaftlichen Daten. Die Befunde werden in den Kontext des Spät- und Postkommunismus in Ostmitteleuropa und anderer Transformationsgesellschaften eingebettet.
Gesellschaften und ihre Herrschaftsapparate nutzten je nach Epoche und Kontext verschiedene Methoden der Selbstbeobachtung. Im Rahmen der Verwissenschaftlichung des Sozialen entwickelten sich Umfragen ab dem 19. Jahrhundert zu einem wichtigen Instrument der Produktion von Wissen über die Bevölkerung. Die Volkszählung als Urform kontinuierlicher Gesellschaftsbeobachtung bildet den Kern des Buches. Die durch sie und andere Umfragen produzierten Daten wurden in vielen Bereichen verwendet, ihre zugrunde liegenden Vorannahmen, Methoden und Arbeitsprozesse hingegen selten hinterfragt. Ziel des Buches ist es deshalb, einen Einblick in die „Fertigungshallen sozialer Fakten“ (L. Raphael) zu liefern. Ausgehend von der Überlegung, dass sozialwissenschaftliche Konstruktionen die Wahrnehmungen und Ordnungen von Gesellschaft prägen, werden am britischen Beispiel Akteure, zentrale Methoden wie Interview, Fragebogen und Gesellschaftsklassifikationen sowie konkrete Fragen nach race, ethnicity und disabilities untersucht. Das Buch verbindet Wissensgeschichte mit neuer Politikgeschichte. Denn Volkszählungsfragen konnten nicht einfach im Top-down-Verfahren vorgegeben werden, vielmehr entstanden sie im politischen Prozess, wurden im Zensusbüro formuliert und von der Bevölkerung eigenwillig beantwortet: Die Volkszählungs‚daten’ waren Ergebnis einer zirkulären Wissensproduktion. Ein zentrales Ergebnis dieser 200-jährigen Wissensgeschichte der Umfragemethoden ist die Beobachtung, dass die den Methoden zugrunde liegende Idee, dass Menschen und Gesellschaften über die Summe ihrer Daten zu bestimmen sind, und die daraus folgenden Praktiken erstaunlich stabil blieben, während sich die Akteure und ihre Forschungsinteressen ebenso veränderten wie der Staat, die Verwaltung und die Gesellschaft. Erst mit der Durchsetzung des digitalen Zeitalters zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist eine deutliche Zäsur anzusetzen. Denn jetzt besteht die Möglichkeit, die grundlegenden Methoden, nämlich den Fragebogen und das Interview, durch andere indirekte Datenerhebungen zu substituieren und somit die zirkuläre Wissensproduktion durch eine einseitige Datenerhebung zu beenden.
Serienmörder faszinieren. In Film, Fernsehen und Kriminalliteratur morden sie fast täglich, aber kriminalstatistisch sind sie nahezu bedeutungslos. Kerstin Brückweh untersucht vier Fälle von Serienmorden (Haarmann, Seefeld, Hagedorn, Bartsch) aus der Weimarer Republik, dem Nationalsozialismus, der DDR und der Bundesrepublik. Sie zeigt, wie Nachbarn und Kollegen, Polizisten, Gutachter und Richter, Journalisten und Zeitungsleser die Täter wahrnahmen und beurteilten. Besonders auf sexuell motivierte Kindermörder entluden sich Abscheu und Hass, während zugleich in den Medien Voyeurismus und Gewaltfantasien aktiviert wurden.
Ausgezeichnet von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen mit dem Akademiepreis für Geisteswissenschaften 2009.